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Über Gletscher und ihre Knechte

#HÜTTENPRAKTIKANT

Ein Gespräch mit „Gletscherknecht“ DI Dr. Reinhold Friedrich.

Unsere Hüttenpraktikanten Verena Helminger und Pascal Schumacher sind nun seit mehr als sechs Wochen unterwegs von Hütte zu Hütte. Zwei Sommermonate geht es für sie bergauf und bergab. Mal sind die Pfade einsam, mal belebt. Sie steigen über farbenprächtige Almwiesen und folgen dem Verlauf rauschender Gebirgsbäche. Hier und da treffen sie auf Gletscher, deren pure Anwesenheit eine kraftvolle Wirkung versprüht. Verena realisierte in den vergangenen Wochen als #hüttenpraktikant drei Hochtouren in der Venedigergruppe. Weitere Hochtouren in der Glocknergruppe und sowie in den Stubaier Alpen musste sie aufgrund des unbeständigen Wetters leider abbrechen. Mitte August trifft sie auf einen Gletschermesser des Österreichischen Alpenvereins – auch als Gletscherknecht bekannt. Gletscherknechte messen und dokumentieren jedes Jahr die Entwicklung der Gletscherlandschaften. Was es dafür braucht, wieviel Eis vor 18.000 Jahren ganz Innsbruck bedeckte und wie die Entwicklung der Gletscher einzuordnen ist – darüber haben wir mit DI Dr. Reinhold Friedrich gesprochen. Von Beruf Bauingenieur, arbeitet er seit 1975 als Gletscherknecht für den Alpenverein. Das macht er so lange, bis ihm „die Luft ausgeht“.

Herr Friedrich, haben Sie schon einmal in einem Gletscherbach gebadet?
DI Dr. Reinhold Friedrich:
Ja, vor vielen Jahren. Ich erinnere mich, dass der Bach durch das Gletscherschmelzwasser fürchterlich kalt war. Gleichzeitig war es eine feine, super Erfrischung nach einer „langen, heißen“ Schitour. Das war ein Genuss!

So ein Gletscherwasserbad bleibt in Erinnerung. Können Sie sich auch den Tag erinnern, an dem Sie das erste Mal an einem Gletscher standen?
R.F.:
Nicht mehr so genau. Nachdem wir in Tirol wohnen und ich seit Kinderzeiten in den Bergen unterwegs bin, wird die erste Gletscherbegegnung wohl auf einer Frühjahrsschitour im Sellraintal stattgefunden haben.

Sie arbeiten als Gletschermesser für den Österreichischen Alpenverein. Seit wann vermessen Sie Gletscher?
Reinhold Friedrich:
Im Jahr 1975 begann ich als Gletscherknecht-Helfer. Vier Jahre später, seit 1979, war ich dann verantwortlicher Gletscherknecht für fünf Zillertaler Gletscher (Kees).

Gletscherknecht – wie kam es zu dieser Bezeichnung. Wissen Sie das?
R.F.: 
Wir sind des Gletschers Knechte. Oder die Knechte des Alpenvereins, wie man es nimmt. (lacht)

Wie würden Sie Ihre ganz persönliche Beziehung zu den Gletschern Österreichs beschreiben? R.F.: Für mich lässt sich mit dem Wandel der Gletscher, der Veränderung der Gletscherlandschaften, die natürliche Klimaveränderung auf spannende, objektive Art und Weise beobachten.

Was für Handwerkzeug braucht es für die Arbeit als Gletschermesser? Was haben Sie im Rucksack? R.F.: Eine gesunde Portion Hausverstand. Halbwegs eine gute Kondition, Ausdauer für die Zustiege zum Gletscher und Retour sowie vor allem nette Helfer*innen. Im Rucksack dabei habe ich ein Maßband, ein gutes GPS-Gerät, Farbe für die Messmarken, den Gletscherbericht der Vorjahre, einen Fotoapparat und mein Handy. Zudem natürlich die übliche Ausrüstung für Mehrtagestouren.

Haben Sie einen Lieblingsgletscher? Einen Gletscher, der Ihnen besonders am Herzen liegt? Falls ja, welchen und warum? R.F.: Das Hornkees in den Zillertaler Alpen. Im Jahr 1959 hatte mein Schwiegervater nur 29 Meter bis zum Eisrand gemessen. 61 Jahre später, im Jahr 2020, haben wir 921 Meter vermerkt. Aus einer einst schönen, wulstigen Gletscherzunge wurde innerhalb weniger Jahrzehnten ein erbärmlicher Rest.

Für das Hornkees verzeichnet der Gletscherbericht im vergangenen Jahr den stärksten Rückgang in Gesamtösterreich. Haben Sie eine Erklärung dafür? R.F.: Das liegt am Untergrund. Es gibt dort eine ausgeprägte Felskante. Der Gletscher wächst dann ein Stück darüber hinaus, wird dünner und im letzten Jahr ist er dort abgebrochen. Wir messen immer mit Bezug auf den Gesamtgletscher, das Toteis wird nicht mehr gemessen. In diesem Jahr wird die Längenänderung vermutlich weniger sein.

Sie sagen, dass Sie diese Aufgabe von ihrem Schwiegervater übernommen haben? R.F.: Ja, für uns hat das eine gewisse Tradition. Ich bin damals mit meinem Schwiegervater mitgegangen. Mein Schwiegervater war zu Beginn der Aufzeichnungen noch als Geographie-Student unterwegs. Heute gehen meine erwachsenen Kinder mit mir mit. Wir machen meistens eine schöne Tour im Zuge der Messungen, die wir zweimal im Jahr vornehmen.

Gletscher

Welche Bedeutung haben Gletscher für den alpinen Lebensraum? R.F.: Gletscher haben u.a. eine wesentliche Bedeutung für die hochalpine Wasserwirtschaft: Speicherung von Wasser, Verminderung der Hochwasserabflussspitzen.

Ihre persönliche Sicht: Sind Gletscherlandschaften in naher Zukunft Geschichte? Ist das Glas halbleer oder halbvoll? R.F.: Die heutigen Gletscherlandschaften ändern sich relativ rasch, in den Gletschervorfeldern entsteht neues Leben. So wie es vor einigen Tausend Jahren auch schon war. Wir haben an der Pasterze, dem aktuell längsten Gletscher Österreichs am Großglockner, unter dem Eis ein über 8.000 Jahre altes Holz geborgen, das im Torf gelegen ist. Also muss es dort auch Wälder und Bäume gegeben haben. Dann kam das Eis und begrub diese unter sich. Seit einige Jahren schwindet das Eis wieder.

Beunruhigt Sie das?
R.F.:
Ich bin der Meinung, dass wir zu sehr in menschlichen Zeiträumen von maximal 70 – 80 Jahren denken. Wir sollten viel mehr erdgeschichtliche, geologische Zeitenfenster von Zehntausender-Jahren berücksichtigen.

Zeitfenster von 10.000 Jahren. Das sind Zeiträume für einen Menschen, dessen Lebensdauer einem Wimpernschlag gleicht, die kaum vorstellbar sind.
R.F.:
Ja, es ist so. Die Gletscher kommen und gehen. Das ist für mich der natürliche Klimawandel. Durch unsere unvernünftige Lebensweise greifen wir in diese Klimazyklen ein – der menschengemachte Klimawandel führt zu noch nie beobachteten Extremwerten. Das ist leider so. Man muss aber auch bedenken, dass Innsbruck vor etwa 18.000 Jahren mit 2.000 Metern Eis bedeckt war. Da hätte wohl eine Aktion „Rettet den Inntalgletscher!“ die Medien aktiviert!

… und was wären die Alpen ohne Gletscher?
R.F.:
Schöne Gesteinshaufen ohne weiße Gletscher“sahne“.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie am Gletscher? Allein oder mit Kollegen?
R.F.:
Wir beobachten fünf Gletscher und sind in Kleingruppen einmal pro Jahr 4-6 Tage unterwegs, oft auch länger, wenn wir Überschreitungen und hochalpine Touren machen.

Was hat Sie dazu bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?
R.F.:
Wir sind ehrenamtlich – mit Kostenzuschuss für die Hüttenübernachtungen –unterwegs. Unsere Berufe sind technischer Art. Ich bin Bauingenieur.

Finden Sie ein paar persönliche Worte für die Entwicklung der Gletscher in den vergangenen Jahrzehnten?
R.F.:
Ich erlebe den selbst gemessenen Gletscherrückgang seit nunmehr 46 Jahren und so müssen wir im Team jetzt jedes Jahr zig Meter weiter bis zum Eisrand aufsteigen. An manchen Gletschern ist dies wegen der Steilheit und Eisabsturzgefahr nur sehr schwer möglich, so dass wir auf technische Hilfsmittel wie GPS oder Drohnen zurückgreifen müssen. Wesentlich erscheint uns, dass die jahrzehntelange Messreihe nicht unterbrochen wird, sie wird dadurch immer „wertvoller“.

Wie rein ist Gletscherwasser wirklich?
R.F.:
Wir haben keine Bedenken, das milchige, kalte Gletscherwasser an der Gletscherzunge zu trinken. Die mineralische Trübung durch den Gesteinsabrieb wird uns wahrscheinlich nicht schaden, es ist echtestes „Mineralwasser“.

Wie viele Gletschermesser gibt es in Österreich?
R.F.:
Aus dem Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins entnehme ich, dass 23 Personen für diesen Bericht verantwortlich zeichnen. Die meisten Gletschermägde und Gletscherknechte kennen sich von den verschiedensten Treffen zum Erfahrungsaustausch auch persönlich. Die Zahl der Personen, die dann bei den Messungen vor Ort unterwegs sind, ist wesentlich größer, da wir ja meistens mit einigen Helfer*innen unterwegs sind.

Gibt es einen Austausch zum Thema Gletscher mit Kolleg*innen aus anderen Alpenländern?
R.F.:
Einige Kolleg*innen sind beruflich auch mit den Gletschern beschäftigt und so ergeben sich weltweit Kontakte. Ich selbst habe zu den Schweizer Kolleg*innen einen losen Info-Kontakt.

Wie lange werden Sie noch Messungen vornehmen?
R.F.:
Bis mir die Luft ausgeht – bin jetzt 71 - und ich den Zustieg zu den Eisrändern körperlich nicht mehr schaffe.

… und danach?
R.F.:
Bereits seit vielen Jahren gehen auch meine Kinder bei den Gletscherbeobachtungen mit und messen und fotografieren bestens. Somit ist die Kontinuität für die nächsten Jahrzehnte sichergestellt.

Das Gletschermessteam des Alpenvereins, zu dem DI Dr. Reinhold Friedrich zählt, hat im vergangenen Sommer 92 Gletscher österreichweit neu vermessen. 85 davon (92,4 %) haben sich im Beobachtungszeitraum 2019/2020 weiter zurückgezogen, nur sieben (7,6 %) sind mit einer Längenänderung von weniger als einem Meter stationär geblieben.

Hier geht´s zum aktuellen Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins.

 

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