Babsi Vigl
Wetterfenster in Patagonien – Teil 1
„Manche Orte haben etwas Besonderes. Ab und zu ist es die Abgeschiedenheit einer wilden Berglandschaft, manchmal sind es formschöne Gipfel und Wände, die uns zu neuen Abenteuern inspirieren. Manchmal ist es die Stimmung in den kleinen Cafés und Stäßchen, das Temperament und die Geschichten der Menschen, die dort leben, oder eine bunte und inspirierende Community. Und manchmal, da kommt all das zusammen.
Patagonien ist für mich einer dieser besonderen Orte – einer von denen, an denen eben alles das zusammenkommt. Die Touren in Patagonien sind nicht ganz Westalpen und nicht ganz Expedition – lang, anspruchsvoll und mit Verhältnissen, die sich oft erst kurz vor der Wand wirklich einschätzen lassen. In Kombination mit einem gemütlichen und warmen El Chaltén in ein bis zwei Tagesmärschen Reichweite, wo argentinischer Wein, fast tägliche Asados und leckere hausgemachte Kuchen in liebevoll eingerichteten kleinen Cafés auf uns warten. Erhält man die Chance auf ein seltenes Wetterfenster, gibt man in den langen und alpinen Routen alles. Spätestens beim unbeschwerten Klettern in der Sonne rund um El Chaltén oder beim Aperitivo in der Vinera – inmitten einer motivierten und herzlichen, internationalen Alpinisten-Community – sind die stundenlangen Märsche über Moränen und Inlandeis, lange Klettertage bis in die Nacht, eisige Kälte, Müdigkeit und Hunger schnell vergessen. Die Stimmung ändert sich mit Hochdruckmodellen und Windprognosen – kündigt sich eines der heiß begehrten Wetterfenster an, wird geplant und getüftelt, bis der perfekte Plan steht. Und selbst dann ist noch Raum für kurzfristige Änderungen, denn: in Patagonien steht und fällt alles mit der Strategie und den Verhältnissen. Es bleiben immer einige Unsicherheiten übrig, die man durch Erfahrung, Flexibilität am Berg und Analysen der Informationen, die wir in Chaltén bekommen, zu minimieren versucht. All das macht Patagonien zu dem, was es ist: ein Paradies für Alpinisten, in dem das Ungewisse noch immer erhalten ist und wir uns wieder mehr auf unsere Intuition in den Bergen verlassen müssen.
Wegen all dieser Unbekannten, allen voran dem Wetter, das ab und zu über Wochen keine großen Touren erlaubt, gilt für mich auch diesmal wieder die Devise: Erwarte nichts, sei glücklich mit dem was möglich ist und gib alles, wenn du die Chance dazu erhältst.
Für dieses Jahr sind manche der Prognosen bereits düster. Die ganze Saison über hatten sich die Berge kaum ohne Stürme und schlechtes Wetter gezeigt. Maximal für einen Tag, um zumindest einige der kleinen Ziele zu versuchen. Trotzdem komme ich voller Vorfreude Ende Jänner mit meinem Kletterpartner in El Chaltén an. Als wir die Tür zum Centro Alpino aufsperren, ist es ein bisschen so, wie nach Hause zu kommen.
Nach zwei Tagen überrascht uns bereits das erste kurze Wetterfenster. Voll motiviert starten wir im Regen Richtung Poincenot und müssen am Gletscher wegen schlechten Schneeverhältnissen umdrehen. Kurz darauf kommt aber schon die nächste Chance und wir können in einem kurzen, aber schönen Wetterfenster über die Whillans-Cochrane auf die Poincenot klettern. Wenige Tage nachdem wir angekommen sind, stehen wir schon auf unserem ersten Gipfel. Das ist bereits mehr Glück, als ich in der letzten Saison hatte. Keines der kurzen Wetterfenster war damals lang genug, um einen Gipfel wie die Poincenot zu versuchen.
Viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Es wird gemunkelt, dass ein Wetterfenster kommen soll. Ein richtig gutes sogar. Wir warten mal ab, meistens ändert sich die Vorhersage noch zum Schlechteren, aber diesmal ist es anders. Vier Tage, fünf Tage, sechsTage?!
Es ist nicht zu glauben, dass wir wirklich so ein großes Glück haben. Alle beginnen emsig zu planen, unterschiedliche Optionen werden besprochen, doch eigentlich ist es ganz klar: Das ist ein Cerro Torre Fenster.
Wir entscheiden uns für den Torre. Das Fenster kommt näher, die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Alles schaut perfekt aus. Doch dann entscheidet sich mein Partner am Abend vor dem Tourstart aufgrund einer beginnenden Entzündung der Archillessehne gegen einen Versuch. Touren wie diese gelingen nur, wenn viele Faktoren zusammenpassen. Es geht nicht nur um die eigene Leistung, sondern auch um das Wetter, die Logistik, die Taktik und die aktuelle Verfassung. Die Verletzung machte uns einen Strich durch die Rechnung und ich stehe plötzlich – am Abend vor dem lange erwarteten Wetterfenster – ohne Kletterpartner da. Obwohl es unrealistisch ist, auf die Schnelle einen geeigneten Partner für eine Tour wie die Ragni am Cerro Torre zu finden, versuche ich trotzdem mein Glück.
Viele Ereignisse, Begegnungen und wilde Zufälle später bin ich mit einem spanischen Team unterwegs Richtung Cerro Torre. Adolfo Madonabeitia und Julen Berrueko kommen beide aus dem Norden Spaniens, sind hochmotiviert, erfahren und sind kulinarisch echt Feinspitze – auch am Berg. Das Team scheint perfekt! Allerdings ist es bei weitem nicht selbstverständlich, dass ein alpines Abenteuer wie der Cerro Torre mit Partnern, die sich nicht kennen, funktioniert. Es geht ja nicht nur um das Kletterkönnen, sondern auch darum, gemeinsam ständig Entscheidungen zu treffen und vor allem eine schöne und lustige Zeit zusammen zu haben. Wir lernen uns jeden Tag besser kennen, und der Gipfel wird immer unwichtiger. Die Gegend ist atemberaubend schön, die Kletterei jeden Tag anders und genial, und das Team ist ein echter Glücksfall. Wir ergänzen uns perfekt, teilen uns ohne Probleme das winzige 2-Mann-Zelt, das Führen der Seillängen, unvergesslich schöne Momente und unsere Essensvorräte.“
Die 3er-Seilschaft zieht weiter Richtung Cerro Torre. In „Wetterfenster in Patagonien – Teil 2“ berichtet Babsi Vigl persönlich von der Tour und dem großen Glück, ein weitere realisieren zu dürfen.