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SICHER AM BERG IM WINTER: INTERVIEW MIT MICHAEL LARCHER - TEIL 2

Das Lawinen Up Date liefert die Theorie und das Wissen. Es ersetzt aber keinesfalls die praktische Ausbildung am Berg. Welche Praxis-Elemente empfiehlst Du jedem Wintersportler vor der ersten Tour ins winterliche Gelände?
Michael:
Das ist immer mein Eingangsstatement: Nutzt die Ausbildungs¬angebote der alpinen Vereine und Alpinschulen! Für den Einstieg in den Tourenwinter empfehle ich drei Dinge: 1. die gesamte Ausrüstung zu überprüfen, insbesondere natürlich die Notfall¬ausrüstung. 2. Die Lektüre unserer zehn internationalen Skitourenempfehlungen plus unserer Lehrvideos. 3. Eine kurze „Modetour“ zum Einstieg, die dann noch Zeit lässt, um eine LVS-Übung inkl. sondieren und schaufeln durchzuführen. Dass mehr geht, ist klar. Ein Kurs wäre das Optimum. Und natürlich hängt der Einstieg in den Winter auch vom eigenen Niveau ab.

Mit welchem Gefühl blickst Du auf die Winter-Saison 20/21? Die Bergsportbranche ist sich sicher, dass das Skibergsteigen enorme Zuwächse haben wird. Ist das auch Dein Gefühl?
Michael:
Skibergsteigen liegt seit vielen Jahren voll im Trend. Das belegen eindrucksvoll die Verkaufszahlen der Skiindustrie, Umfragen und letztlich auch die eigene Beobachtung. Corona könnte diesen Trend noch zusätzlich verstärken. Meinem Gefühl nach, wird es nicht dramatisch anders werden, wie zuletzt. Im Bereich Pistentouren, wenn Leute die Gondel meiden, könnte sich die Situation verschärfen – und damit auch die Konflikte.

Die prognostizierte Zunahme des Skibergsteigens auf und jenseits von präparierten Pisten macht die Durchführung des Lawinen Updates wichtiger denn je. Was sind aus Deiner Sicht die Fehler, die Menschen ohne Vorkenntnisse in den winterlichen Bergen am häufigsten begehen?
Michael:
Zunächst muss uns klar sein, dass nichts menschlicher ist, als Fehler zu machen. Und natürlich machen auch Experten Fehler. Dazu kommt, dass Natur und Wildnis Gefahren bergen, die sich unserer Kontrolle immer ein Stück weit entziehen werden. Besonders das Mysterium Schnee, die Schneedecke und deren Stabilität führt uns unsere Grenzen deutlich vor Augen. Menschen ohne Vorkenntnisse sollten sich im Gebirge einer Alpenvereins-gruppe oder professionellen Bergführern anvertrauen und so – Schritt für Schritt – Erfahrung sammeln und Know-how aufbauen. Der häufigste Fehler aus meiner Sicht: Ein nicht an die Verhältnisse angepasstes Verhalten und das Nichteinhalten von Abständen bei der Abfahrt.

Bist Du schon einmal selbst in eine Lawine geraten?
Michael:
Als 13-jähriger, das war dann 1973, war ich mit meinem Vater in einem Mega-Schneebrett am Zischgeles. Zum Glück war genau an meiner Stelle eine kleine, unscheinbare linsenförmige Geländekuppe, an der sich die Lawine geteilt hat. Niemand ist zu Schaden gekommen. LVS-Geräte hatten wir damals noch nicht. Vor zwei Jahren erfasste mich eine kleine Lockerschneelawine in einer steilen Rinne. Obwohl die Schneemenge minimal war, wurde ich eindrücklich daran erinnert, wie ausgeliefert man ist.

Auf den Punkt gebracht: Was muss im Winter in jeden Tourenrucksack?
Michael:
LVS an den Körper, Schaufel und Sonde im Rucksack, in meinem Fall in einem Airbag-Rucksack. Ein superleichter Biwaksack für drei Personen, ein Erste-Hilfe-Paket und eine kleine Stirnlampe ist immer dabei. Smartphone mit vollem Akku, mit alpenvereinaktiv-App und offline gespeicherter Karte sowieso. Helm verwende ich nicht immer, aber immer öfter. Dann noch Schutz gegen Wind und Kälte, Sonnenschutz, ein Liter zum Trinken, ein paar Früchteriegel und ein Wax gegen das Aufstollen.

Was hat in den winterlichen Bergen Deiner Meinung nach keinen Platz?
Michael:
Lärm, Events, Installationen aller Art, und bitte keine weitere technische Erschließung! Der Alpenverein ist kein Gegner von Skipisten und Liftanlagen, alpiner Skilauf gehört zu unseren Kernsportarten. Wir sind aber entschieden gegen die nie enden wollende Erschließungsspirale. Es ist längst genug. Zum Glück wird der unbezahlbare Wert ursprünglicher Natur-land¬schaften von immer mehr Menschen erkannt.

Stichwort Lawinenlagebericht: Wo informierst Du Dich?
Michael:
Der Lawinenlagebericht ist ein Standard in der Tourenplanung. Wenn ich losgehe, weiß ich um die Gefahrenstufe und das Lawinenproblem Bescheid – z.B. Triebschnee - und ich weiß, wo die Gefahrenstellen zu erwarten sind. Meine erste Quelle für den Report ist die Website. Am Handy hab´ ich auch noch die sehr nützliche App SnowSafe installiert.

Gab es in den letzten fünf Jahren wesentliche Neuerungen in der Lawinensuche? Neue Erkenntnisse, die die Suche verbessert haben?
Michael:
Den größten Fortschritt brachten digitale LVS-Geräte mit Drei-Antennen-Technologie, deren Software dann von Jahr zu Jahr verbessert wurde. Auch wichtig war unser Appell, nur Schaufeln aus Metall zu verwenden. Heute gibt es praktisch nur noch solche aus Metall. Zudem sollte man das Schaufeln genauso trainieren wie die LVS-Suche. Aus medizinischer Sicht ist eines klar: Kopf frei, Atemwege frei! Dem ist alles unterzuordnen.

Hast Du Tipps, wie man im Ernstfall ruhig bleibt, um eine zielgerichtete, strukturierte Suche zu gewährleisten?
Michael:
Die beste Medizin gegen Panik und Nervenwegschmeißen ist Selbstvertrauen. Und das gewinnt man, wenn man etwas gelernt und erfolgreich geübt hat. Je mehr ein Notfallschema in „Fleisch und Blut“ übergeht, desto handlungsfähiger bin ich in Extremsituationen. Aber auch als Experte würde ich mir drei Sekunden gönnen, mich auf meinen Atem fokussieren und mir vorsagen: „Ich werde mein Bestes geben.“ Und dann loslegen.

Wie motivierst Du und der Alpenverein Schneesportler, Zeit und Geld zu investieren, regelmäßige Trainings zu absolvieren?
Michael:
„Ausbildung macht Spaß!“ – ist eine wiederkehrende Formel bei meinen Auftritten. Und ich wähle natürlich gerne Unfallbeispiele aus, bei denen es gelungen ist, Leben zu retten, weil die Helferinnen und Helfer wussten, was zu tun ist. Es muss uns gelingen, für den Schneesport eine Einstellung wie im Tauchsport zu etablieren: Niemand geht tauchen, ohne vorher einen Kurs zu machen!

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