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EDOARDO SACCARO

Unterwegs mit Federica Mingolla – Abenteuer in Grönland

#SALEWAFACES

„Wie schreibt man das? Ich finde das nicht in Google Maps ...‟ war die immer wiederkehrende Frage von Freunden und Bekannten, denen ich von meinem Abenteuer mit Federica Mingolla in Grönland erzählt hatte. Weitere Fragen waren: „Aber gibt es dort nicht nur Eis?‟, „Welche Berge gibt es da?‟, „Kann man da denn Bergsteigen?‟, „Was willst du denn dort?‟. Niemand konnte von Erfahrungen oder Erlebnissen auf der Insel im hohen Norden berichten, nicht einmal jene, die eine Zeitlang als Feuerspringer in Kanada unterwegs gewesen waren. Keiner wollte sich zu diesem Projekt äußern. Allerdings muss ich zugeben, dass auch meine Antworten nicht besonders überzeugend waren. Ich habe viele Ausreden erfunden, um nicht zugeben zu müssen, dass die Vorbereitungszeit sehr knapp war und es so viel zu tun gab, u. a. die Flüge buchen, packen, das Gepäck wiegen, umpacken...

Und endlich … 3,2,1 … es geht los! Und zwar ohne groß an das Morgen zu denken. Eine Reise von drei Tagen mit Flugzeug, Helikopter, Schiff und Krücken war nötig, um zum Tasermiut Fjord zu gelangen (genau, so schreibt man das). Die Krücken sind auf einen komplizierten Fersenstoß bei einem Sturz beim Bouldern im Valsavaranche zurückzuführen und spielen in dieser Geschichte eine wichtige Rolle. Aber selbst die Krücken konnten mich nicht von dieser Reise abhalten.

Der Tasermiut Fjord ist eine wilde und wunderschöne Gegend in totaler Isolation, in der uns der erste Tag genauso lange schien wie der ganze erste Monat unseres Abenteuers. Unberührte Natur und atemberaubende Landschaften, kein Bauwerk, das die Sicht verstellt, beeindruckende Stille sowie einige Wiederholungen von Routen, von denen keinerlei Berichte existierten, machen uns klar, was wir da vor uns haben. Wir wechseln ein paar Worte mit den wenigen, die sich in diese Breiten gewagt haben, um den Geist jenes „grünen Landes‟ in uns aufzunehmen, das schon die Wikinger beeindruckt hat. Vielleicht liegt das Geheimnis dieser Einöde im Norden gerade darin, dass man sie nicht erobert. Vielmehr ist sie es, die dich unterwirft, während sie sich dir hingibt und dich so lange vorwärts kommen lässt, bis sie sich wieder anders überlegt. Natürlich ist sie dabei heimtückisch und hart, man erkämpft sich seinen Weg, wägt geschickt ab zwischen der Hoffnung auf unbezahlbare Ausblicke, die man sich doch nur erträumt, und der brutalen Realität von wilden Umgebungen, von schönen und gleichzeitig gefürchteten Witterungsbedingungen, die dich niederwerfen und deinen Kampfgeist steigern, dabei aber alles aufzehren, was du aus deinem früheren Leben mit dir herumträgst. Nichts ist umsonst, alles kehrt zu dir zurück und überrascht dich, von den nicht enden wollenden Zustiegen, den Zwangspausen wegen Unwetters, dem Fels, der Finger und Kletterschuhe aufreibt, bis hin zum Fuchs, der sich vorsichtig heranwagt, um die Überreste der Angeltouren zu verspeisen. In dieser Umgebung wirken selbst die seltenen Plaudereien in unbekannten Sprachen und international verständlichen Handzeichen (welch eine Erfindung!) mit den wenigen menschlichen Wesen seltsam, denen man begegnet. Menschen, mit denen man so ziemlich alles teilt: gefriergetrocknete und frische Lebensmittel, lauwarmes Wasser (das man nicht unnötig zum Waschen vergeuden darf) und Feuerwasser (das sehr dabei hilft, die Hemmungen beim Sprechen in fremden Sprachen zu verlieren). Und dann erkennst du, dass all das auf dem Weg zum Fuß der beeindruckenden, wunderschönen und niemals zuvor bezwungenen (wofür es einen Grund gibt, wie ich heute weiß) Südwand des Nalumasortoq einen Sinn hatte.

Die Nächte werden länger, die Kälte nimmt zu, und die Wand weist uns häufig in die Schranken. Unsere Tage werden bestimmt von den wenigen Schönwetterfenstern, unendlichen Fußmärschen wie Packesel mit Lasten auf dem Rücken, ungemütlichen Nächten auf dem Portaledge, abgeriebenen Fingerkuppen, unzähligen Schwierigkeiten beim Anbringen der Sicherungen, dem peitschenden Wind, der dich im Zelt wach hält, der eigenen Müdigkeit, die sich in den Augen deiner Mitstreiter widerspiegelt. Aufrecht erhält uns das Bild einer starken Person, welche entschlossen ist, den Weg bis zum Ende zu gehen, welche niemals aufgibt, welche die spärliche Körperhygiene an den langen Tagen an der Wand erträgt und die kurzen Nächte, in denen man sich schnarchend den knappen Platz mit Materialien und Werkzeug teilen muss. Allein die Vorfreude auf den Jubel am Gipfel nach acht Tagen, in denen man aneinander festgebunden ist, gibt uns Genugtuung und lässt uns all die Anspannung, die Mühen, die Anstrengungen und die Müdigkeit aushalten, die auf uns lasten.
Was neben den Fotos von der Eroberung, den Wänden, den Landschaften, den Sonnenauf- und Sonnenuntergängen und den Nordlichtern in schlaflosen Nächten von diesem Abenteuer bleibt, ist das Bewusstsein, an einer Unternehmung teilgenommen zu haben, durch die ich Landschaften und Persönlichkeiten am anderen Ende der Welt kennenlernen durfte. Jene, die in dieses Gebiet für eine Luxus-Trekkingtour reisen, jene, die zwischen Armut und Einsamkeit überleben, jene, die sich an alles Unnötige klammern, weil es auf der nächsten Reise nützlich sein könnte, und auch jene, die dir aus reiner Freude am Teilen ihr Abendessen anbieten. Ich denke gerne an die Tage zurück, die wir beim Kartenspiel mit den französischen Freunden, beim Kochen mit den dazu gestoßenen Italienern oder mit den US-amerikanischen Paläontologen, den Schweizer Fotografen und dem Fischer zugebracht haben, der mir nach ein paar Wortfetzen auf grönländisch seinen Hut schenkte, ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erwarten.

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