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Neun weltoffene Frauen besteigen das ganz und gar nicht „böse“ Weibl

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Männer waren am International Womens Day in Reichweite des Großglockners nicht dabei, als die 1400 Höhenmeter zum Bösen Weibl bei Neuschnee und strahlendem Sonnenschein gemeistert wurden. Geführt und gespurt haben – natürlich! – zwei starke Frauen: Die Bergführerinnen Maria Egger und Yvonne Koch zeigten kompetent und voller Euphorie, wie selbstverständlich Frauen in alpinen Führungspositionen heute sind. Als zwei von insgesamt 25 Bergführerinnen in Österreich fühlen sie sich im Jahre 2020 keinesfalls benachteiligt oder weniger wertgeschätzt in Ihrem Beruf als ihre rund 1450 männlichen Kollegen. So sollte es sein, aber so war es nicht immer. Den ersten Bergführerinnen in der alpinen Geschichte wurden teils große und kleine Steine in den Weg gelegt. Die Pionierinnen unter ihnen erinnern sich an teils abschätzige Blicke und Sprüche, wenn sie abends mit ihren Kunden in der Hütte zum Nachtlager eintrafen. Kaum zu glauben auch, dass Frauen in Österreich erst im Jahr 2001 zur Bergrettung zugelassen wurden. Eine der ersten Bergführerinnen des Alpenlandes, Christine Welzl, erhielt erst nach mehrmaliger Anfrage die Erlaubnis, im ausschließlich von Männern dominierten Bergrettungs-Team, mit anzupacken.

Am Vorabend der Girls Only Tour saßen alle gemütlich im Lesacherhof in Kals am Großglockner zusammen, um sich kennenzulernen, Erfahrungen auszutauschen und über die geplante Skitour zu sprechen. Dabei kam die Frage auf den Tisch, ob es einen Unterschied macht, wenn man mit Frauen oder Männern auf Tour geht. Dazu hatte jede der bergerfahrenen Frauen eine klare Meinung. Jolana Dandl, bergverliebte Markenbotschafterin mit knapp 30.000 Followern, sieht den Unterschied insbesondere darin, dass Männer, mit denen sie unterwegs ist, oftmals physisch überlegen sind. „Dadurch bin ich körperlich oft das schwächste Glied einer Gruppe - was aber nicht zwangsläufig negativ sein muss. Es kann auch ein Ansporn sein, besser zu werden und über sich selbst hinaus zu wachsen, solange die Gruppendynamik stimmt. Wenn natürlich der ein oder andere Platzhirsch dabei ist, der unbedingt zeigen muss, wie krass oder schnell er ist, ohne Rücksicht auf andere Mitglieder in einer Gruppe zu nehmen, ist das nicht nur unglaublich nervig und unangenehm, sondern das kann auch gefährlich sein. Solche Erfahrungen habe ich bis jetzt nur mit Männern gemacht.“
Jolana ist überzeugt, dass Frauen grundsätzlich mehr Rücksicht aufeinander nehmen als Männer. Sie spürt zudem, dass Bergsteigerinnen untereinander weniger Konkurrenzdenken entwickeln. „Das ist total schön. Man kann sich untereinander trotzdem pushen und bestärken, ohne dass sich jemand schlecht oder ungenügend fühlen muss. In gemischten Gruppen trauen sich viele Frauen, mich eingeschlossen, meistens weniger zu und sind zurückhaltender“.
Die Bergwelten-Redakteurin Katrin Rath bestätigte, dass bei Bergtouren mit Männern nicht selten die Leistung im Vordergrund steht. Aus ihrer Sicht legen Frauen meist größeren Wert darauf, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. „Das heißt allerdings nicht, dass man mit Männern unterwegs keinen Spaß haben und mit Frauen keine guten Leistungen erzielen kann. Vielmehr bemerkt man den Unterschied in den Gesprächen danach: Männer sprechen dann gerne über die zurückgelegten Höhenmeter oder wie viele Abfahrten sie an diesem Tag geschafft haben, während Frauen lieber auf einzelne schöne oder lustige Momente während der Tour zurückblicken.“
Sie betonte anschließend ganz klar: Ausnahmen bestätigen die Regel! Marie-Therese, Mitarbeiterin des Österreichischen Alpenvereins, schätzt gemischte Gruppen und empfindet die Balance als sehr angenehm. Für sie macht es aktuell keinen Unterschied, ob sie mit Männern oder Frauen am Berg unterwegs ist.

Für die sechsstündige Traumtour auf das, an diesem ehrwürdigen Tag, ganz und gar nicht „böse“ Weibl – frischer Powder und Sonne pur versüßten die zehn Kilometer lange Abfahrt – wurde ganz bewusst auf männliche Begleitung verzichtet. Warum eigentlich Böses Weibl?
Woher kommt der Name? Diese Frage kam mit dem Dessert auf Tisch. Vor vielen Jahren soll es beim Tscharnig in Gaimberg ein altes, böses Weib gegeben haben. Sie wurde als Hexe diffamiert und eine Bestattung in geweihter Erde wurde ihr verweigert.
Daraufhin sollen zwei Ochsen den Leichnam der alten Frau – ohne je zu rasten – auf einem Wagen bis zur Bergspitze gezogen haben. Am Gipfel soll die arme Frau beerdigt worden sein, so heißt es in der Sage. Seitdem trägt der Gipfel dieser vielseitigen Tour den Namen „Böses Weibl“. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei und für uns heute ist vieles selbstverständlich geworden, was damals undenkbar war. Die Teilnehmerinnen der Girls Only Tour sehen aber noch Potential. „Für eine wirkliche Gleichberechtigung müsste sich noch vieles ändern. Das meiste davon in den Köpfen der Menschen selbst“, denkt Jolana Dandl. Aus gegebenem Anlass bezieht sie sich bei diesem generell höchst komplexen Thema rein auf den Bereich Bergsport: „Abgesehen davon, dass Outdoor- und Bergsport betreiben zu können etwas absolut Privilegiertes ist, ist dieser Bereich auch schon immer von Männern dominiert worden. Das liegt am allerwenigsten daran, dass Männer körperlich überlegen sind. Sondern vielmehr an den Chancen und Möglichkeiten, die Frauen in der Geschichte gegeben wurden, diese Sportarten ausüben und trainieren zu können. Dabei geht es nicht nur primär darum, dass es Frauen in den meisten Ländern früher sogar verboten war, bestimmte Sportarten zu betreiben oder beispielsweise Hosen dafür anziehen zu dürfen, sondern auch um die fehlende Anerkennung und Bestärkung von Frauen als ebenbürtige Partnerinnen und Konkurrentinnen im Bergsport.“ Dieser Punkt hat sich laut der Studentin Jolana, die im Süden Deutschlands aufgewachsen ist, in den letzten Jahren enorm verbessert. Ebenso das Angebot für passende und vielfältige Bergsportausrüstung für Frauen.
„Outdoor-Sportarten sind seit einiger Zeit nicht nur allgemein ein Trend geworden, sondern sie haben sich auch als ein Trend speziell für Frauen entwickelt. Dafür sehe ich Social Media zum Beispiel auch als große Chance. Diese Plattformen können genutzt werden, um sich gegenseitig zu bestärken und zu motivieren und weibliche Vorbilder sichtbar zu machen“, so Jolana weiter. Marie-Therese wünscht sich Gleichberechtigung überall und für jeden. Sie trägt zu der Diskussion bei, dass Gleichberechtigung nur durch beide Geschlechter gleichermaßen erreicht werden kann: „Verstehen müsste man, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter allen etwas bringt. Nicht nur Frauen werden von bestehenden Rollenbildern in die Ecke gedrängt. Der Druck, der auf Männern lastet, ist oft enorm, gleichzeitig ist „weinen nur etwas für Mädchen“. Mit gelebter Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht man den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der so grundlegend ist für jede lebendige und moderne Demokratie.“
Marie ist überzeugt, dass Frauen auf allen Ebenen so stark werden müssen, dass sie nicht mehr übersehen werden können. „Bis diese Präsenz erreicht ist, braucht es aktive Förderung. Am Ende können alle von gerechten und gleichen Chancen profitieren.“

Frauen müssen stark sein. Auf allen Ebenen. Was aber bedeutet es, stark zu sein?
Was macht eine starke Persönlichkeit aus? Verena Helminger, ebenfalls Teil der Seilschaft, ist überzeugt, dass Stärke und Macht nicht auf Muskelkraft reduziert werden darf: „Menschen, die Stärke beweisen, sind aus meiner Sicht nicht kalt oder unempfindlich. Sie haben aus ihren Fehlern und Erfolgen gelernt und handeln mit gutem Gewissen und Entschlossenheit. Ein Mensch mit starker Persönlichkeit toleriert diejenigen nicht, die respektlos handeln und keine Wertschätzung gegenüber Menschen, der Natur und der Umwelt zeigen.“
Katrin Rath, Redakteurin des Magazins Bergwelten, ergänzt: „Eine starke Persönlichkeit hat eine eigene Meinung und steht dafür ein. Sie ist sich aber dessen bewusst, dass Standpunkte nicht in Stein gemeißelt sein müssen und ist offen für Dialoge und Diskussionen. Starke Persönlichkeiten schaffen es, andere Personen positiv zu beeinflussen oder zu inspirieren und definieren sich nicht darüber, was andere von ihnen denken.“

Der 8. März war ein ganz besonderer Tag für die sieben Frauen aus Österreich, Deutschland und Italien, die sich von Maria Egger und Yvonne Koch auf das Böse Weibl haben führen lassen. Es wird nicht die letzte Tour sein, die sie gemeinsam unternehmen.

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