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Fünf einsame Dreitausender in unter 10 Stunden

#SALEWA3000

Ursprünglich hatte ich für meine #SALEWA3000 Challenge ja ganz etwas anders ausgesucht – aber wie so viele Pläne dieses Jahr fiel auch dieser Covid-19 zum Opfer.

Im Frühsommer 2020 machte ich einen spontanen Trainingslauf auf den Gabler (3.263 m), einen schönen und vom Tal aus gut machbaren 3000er an der Grenze zu den Zillertaler Alpen. Bereits als ich mit dem Auto in das mir bis dahin unbekannte Wildgerlostal einbog, war ich begeistert. Zugleich war ich überrascht, dass ich noch nie von dieser Gegend gehört hatte. Vom Speichersee Durlaßboden (1.400 m) führt ein schmales, grünes Tal mehrere Kilometer in einen Kessel, der von fünf Gipfeln begrenzt wird, die durch einen scharfen Grat verbunden sind. Links des Weges steht eine charmante kleine Hütte, über die Steilstufe am Talgrund fällt ein langer Wasserfall.

Der scharfe, lange Grat, der insgesamt fünf Dreitausender verbindet, stach mir sofort ins Auge. Vom Gipfel des Gabelers sah der Grat durchaus machbar aus – zurück im Tal suchte ich nach Informationen über frühere Begehungen, konnte aber außer ein paar vagen Kommentaren in Foren nichts über eine komplette Überschreitung finden. Dennoch musste ich nicht lange überlegen: Dieser Grat war zu schön, um nicht versucht zu werden und zudem befand sich das Projekt quasi vor meiner Haustüre. Eine Freundin, Yvonne Koch, staatlich-geprüfte Bergführerin, erholte sich diesen Sommer gerade von einer Schulteroperation, das Projekt schien also für uns beide ideal und Yvo war sofort begeistert dabei.

Als zusätzliche Challenge setzten wir uns noch ein Zeitlimit: 5x3(000er) macht 15. War das Ganze in unter 15 Stunden von Auto zu Auto machbar? Das Zeitlimit war zugegebenermaßen recht willkürlich, da es schwer ist eine Tour zu planen, von der wir die Schwierigkeiten nur schätzen können, aber es war eine nette Challenge im Hinterkopf.

Am 18.9.20 war es dann soweit. Das Wetter spielte zum Glück mit und Yvo und ich konnten am Parkplatz vom Gasthof Finkau (1.420 m) beim Apèro die letzten Details zur Tour besprechen und unsere Rucksäcke packen. Was nimmt man mit auf eine Tour, zu der es keine Infos gibt?
Wir entschieden uns für ein 30 Meter langes Seil, 4 Friends mittlerer Größe, unsere Gletscherausrüstung und einen Leichtpickel pro Person, unsere Stirnlampen, steigeisenfeste Bergschuhe und leichte Kleidung im Schichtprinzip – die Daunenjacken blieben im Auto, wir wollten schnell und leicht unterwegs sein. Für den Notfall kamen noch ein paar Meter Reepschnur und zwei Felshaken in den Rucksack – man weiß ja nie, ob es nicht doch richtig schwer wird.

Um 3:15 Uhr klingelt unser Wecker. Nach einem Gourmetfrühstück mit Cappuccino und Müsli mit frischen Feigen starten wir um 4:03 Uhr unser Projekt.

Die ersten 1.300 Höhenmeter bis an den Gletscher vergehen schnell, es ist komplett windstill und außer unseren beiden Stirnlampen bewegt sich nichts in der Dunkelheit. Pünktlich mit dem ersten Licht legen wir unsere Steigeisen an und können den Grat nun in seiner vollen Länge bewundern. Zügig erreichen wir über den Gletscher und einen kleinen Felsgrat unseren ersten Gipfel: den Gabler mit 3.263 Metern. Von dem kleinen, ausgesetzten Gipfel klettern wir seilfrei über kompakten Fels in die Scharte ab und dort gibt’s in der Sonne ein zweites Frühstück: Brot mit Bergkäse und einen Pocketcoffee pro Nase als zweiten Kaffee des Tages. Schöne Kletterei führt uns schnell auf den zweiten Gipfel: die Reichenspitze – mit 3.303 m der höchste der Reichenspitzengruppe und unserer Überschreitung. Ab diesem Punkt haben wir keine Infos mehr über das Gelände, und die Begehungsspuren hören schlagartig auf. Ein langer, gezackter Grat führt von hier auf unser nächstes Ziel: den Hahnenkamm (3.209 m). Wir klettern immer noch ohne Seil und genießen es, gemeinsam zügig dahinzuklettern – die Schwierigkeiten sind nie so hoch, dass es unangenehm wäre, und immer fordernd genug, dass es uns nicht fad wird. Der Grat wird immer brüchiger, die Kletterstellen ausgesetzter. Für kurze Passagen beschließen wir nun zu sichern, und suchen zügig unseren Weg durchs Gelände – mal rechts, mal links vom Grat, mal direkt über die spitzen Gratzacken. Die Kletterstellen lösen sich alle überraschend gut auf – „Als hätte es jemand fürs Klettern gemacht“, lachen wir, und erreichen bald den dritten Gipfel des Tages. Das nächste Ziel ist schon in Sicht: die Wildgerlosspitze (3.280 m). Die luftige Traverse durch die Wand eines der Zacken ist sicher eines der Highlights der Tour! Vom Gipfel wird das Gelände jetzt leichter, und ein Blick auf die Uhr verrät uns, dass wir die 15 Stunden locker schaffen werden. Bis zum letzten Gipfel (Schneekarspitze, 3.209 m) haben wir vom Auto erst gut 7,5 Stunden gebraucht. Neue Challenge: wir schaffen das in unter 10 Stunden!

Vom Gipfel müssen wir noch längere Passagen abklettern, dann kommt nochmals das Seil aus dem Rucksack, um sicher über den Gletscher und eine große Randspalte zu kommen. Schließlich heißt es nur noch durchs Moränengelände runtersuchen und die knapp 1800hm und 8 Kilometer zum Auto hinter uns zu bringen. Pünktlich zum späten Mittagessen und wohlverdienten Radler sind wir dann auch wieder zurück – mit fünf Gipfeln und Erinnerungen an einen wunderschönen Grat in einer wilden und einsamen Umgebung im Gepäck – und die Challenge, die hat mit 9:55 auch geklappt!

Fotos: Yvonne Koch und Babsi Vigl

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